Hier ein Leserbrief von Gregor Kindelmann zum aktuellen Spiegelbericht.
Wurde leider im Spiegel nicht abgedruckt....
Zum Beitrag im Spiegel: "Hokuspokus - Geld weg! Heiler, Gurus, Scharlatane: Der Boom der
Alternativmedizin"
Leserbrief von Herrn Kindelmann
Sehr geehrte Damen und Herren,
eigentlich war ich ja schon etwas abgestumpft ob der regelmäßigen unsachlichen
Berichterstattung über Homöopathie und anderer komplementärmedizinischer Verfahren und
wollte mir die Zeit sparen, mich damit auseinander zu setzen. Allerdings beschäftigen mich
doch einige Fragen, auf die Sie mir ja vielleicht Antworten geben können.
Wie üblich schreiben Sie in der aktuellen Titelgeschichte, dass es keine Studien gäbe, die
belegen würden, dass Homöopathie besser als Placebo wirkt. Da Frau Hackenbroch Medizin
studiert hat und zudem an der Nannen-Schule ausgebildet wurde, kann sie eine einfache
Literaturrecherche durchführen. Und diese sollte sie schnell zu dem Befund bringen, dass 7
von 9 Metastudien, die ja bekanntermaßen in der evidenzbasierten Medizin die höchste
Aussagekraft haben, einen Effekt belegen, der nicht mit Placebo vereinbar ist. Zwei Studien
behaupten anderes, wobei die Daten der Shang-Studie von Rutten reanalysiert wurden,
wodurch sich die Aussage umkehrte. Die verbleibende australische Studie sollte eigentlich Ihr
journalistisches Interesse wecken, da deren erste Version nicht veröffentlicht wurde und auch
auf Anfrage nicht veröffentlicht wird. Zudem gibt es noch andere Hinweise auf
unwissenschaftliches Vorgehen.
Darüber könnte man schon mal berichten, anstatt die gefühlt zehnte Version des immer gleich
schlecht recherchierten Artikels über Homöopathie im Allgemeinen zu veröffentlichen. Und wie
ist das eigentlich mit der Dokumentation? Sie hatten vor einiger Zeit eine Werbung, die auf
eben diese Abteilung ihres Verlages hingewiesen hat. Aber ich musste doch sehr schmunzeln,
und wunderte mich, warum nicht spätesten der Dokumentar sagt, „da gibt es schon diverse
Studien – dass kann man so nicht stehen lassen“. Kann er nicht? Soll er nicht? Will er nicht?
Das gleiche Vorgehen beim Thema Kosten. Ja, die eine Studie, die Sie erwähnen, kommt zu
dem Befund das Homöopathie-Patienten mehr Kosten verursachen (ohne allerdings auf die
Outcomes in den Vergleichsgruppen einzugehen), aber ein wesentlicher Teil der anderen
Studien zum gleichen Thema, wie z.B. die PEK Studie in der Schweiz, kommen genau zum
gegenteiligen Schluss bzw. bescheinigen eine Vergleichbarkeit der Kosten.
Warum stellen Sie die Aussagen nicht einander gegenüber? Warum stellen Sie die
Uneindeutigkeit der Studienlage, die es in der Homöopathie, wie auch in vielen anderen
Forschungsgebieten gibt, nicht dar?
Dass in Ihrem Artikel auch noch Verrat an den Prinzipien der Aufklärung beklagt wird, ist fast
schon lustig aber doch eher tragisch. Gerade diese Art der Berichterstattung, die
Informationen unterschlägt und verdreht; die versucht Ekel hervorzurufen indem willkürlich
einzelne unappetitliche Arzneigrundstoffe hervorgehoben; in der emotionale Betroffenheit
erzeugt werden soll, durch anekdotische Darstellung von Behandlungsfehlern, die im
konventionellen medizinischen Betrieb ebenso bzw. noch häufiger vorkommen; die eine
vermeintliche Überläuferin präsentiert, deren Verlangen nach Allmachtsgefühlen unbesehen
mit dem eigentlichen Thema vermengt werden – gerade das ist doch Verrat an eben diesen
Prinzipien.
Warum stellen Sie nicht die Studienlage dar wie sie ist und lassen die Leser in Sinne von
Kants Maxime des „Aude sapere“ selber denken und entscheiden. Oder sehen Sie sich in der
moralisch und intellektuell überlegenen Position die es gebietet, dass Sie vorgeben, was
richtig und falsch ist? Das hätte dann aber nichts mehr mit Aufklärung zu tun.
Nun könnte man sagen, na gut, es geht hier nur um Homöopathie bzw. andere CAM-
Heilmethoden. Aber woher weiß ich, dass in den anderen Ressorts nicht ebenso schlampig
oder tendenziös gearbeitet wird? Muss ich nun alle Aussagen überprüfen, weil sie ebenso
falsch sein könnten wie das obige Beispiel zur Studienlage? Bekomme ich bald zu lesen, „es
gibt bis heute keine Beweise für rechtsextremen Terrorismus“ oder, „es gibt keine Information
die systematischen Kindesmissbrauch durch die katholische Kirche belegen würden“, nur weil
es sich gut in eine Argumentationskette einfügt?
Die Art und Weise wie Sie hier agieren, beschädigt das Vertrauen in die Presse und fördert
stumpfe „Fake News“ und „Lügenpresse“ Rufe. Ist es das wert? Warum tun Sie das? Was
hindert Sie, die Werkzeuge, die Sie eigentlich zur Verfügung haben sollten, so zu nutzen, dass
der Leser sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen bedienen kann und so zu
seinen eigenen Schlüssen kommt?
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Kindelmann